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Warum gute Fiktion bei den Fakten bleiben muss

Warum es etwas komplett anderes ist, einen Roman zu schreiben als eine Reportage oder ein Portrait.


„Aber du kannst doch schreiben“, sagt meine Mutter immer, wenn ich bei meinem Roman an einer Szene hänge, weil ich schlicht nicht weiß, was meine Geschichte von mir verlangt.


Natürlich hat Mama Recht. Schreiben ist ein Handwerk und das kann man lernen. Aber gerade beim literarischen Schreiben geht es doch um mehr. Es geht nicht nur darum, herauszufinden, was man sagen will. Man muss vor allem herausfinden, wie man diese Geschichte erzählen kann.


Mein zweiter Roman war lange Zeit "unschreibbar"


Meinen zweiten Roman habe ich nach zwei Jahren frustriert und erschüttert beiseite gelegt und war mir sicher, dass ich nicht in der Lage bin, meinem Thema gerecht zu werden. Erst als ich den Plot vollkommen auf links gedreht habe, hatte ich die Hebel, die ich brauchte, um die Story zu Papier zu bringen.


“Romanschreiben macht man nach innen.”

Das heißt aber auch: Das Schreiben eines Romans hat herzlich wenig mit dem journalistischen Schreiben zu tun. Eine Nachricht kurz und knackig in die Welt hinaus zu tragen ist etwas anderes, als erst einmal eine komplette Welt erschaffen zu müssen. Als Journalistin schreibe ich nach außen. Ich versuche, Sachverhalte für ein Publikum zusammenzufassen, damit es sich selbst eine Meinung zum Thema bilden kann. Romanschreiben macht man nach innen. Man wird komplett auf sich selbst zurückgeworfen. Und man sollte tunlichst vergessen, dass jemals jemand liest, was man da gerade verfasst.

Warum ich es als Journalistin leichter habe


Doch was das literarische Schreiben aus meiner Sicht vor allem abhebt, ist die Suche nach Wahrheit. Denn wir wissen nicht erst seit Anne Lamott, "dass es beim guten Schreiben darum geht, die Wahrheit zu sagen". Das Problem ist: Es ist sehr viel leichter, die Wahrheit - oder einfach nur authentisch - zu schreiben, wenn es ein reales Vorbild gibt.

“Es gibt gute Gründe dafür, warum erfolgreiche Autoren jahrelang über einer Geschichte brüten, bis sie reif genug ist, um zu Papier gebracht zu werden.”

Wenn ich in einem Recherchegespräch Notizen mache, sortiere ich die Fakten automatisch. Beim Schreiben finde ich dann heraus, was ich noch nicht weiß, und frage es gezielt bei meinem Gesprächspartner nach. Beim Romanschreiben steht am Anfang die schiere Fülle an Möglichkeiten und ich zum Beispiel muss erst durch viel Schreiben, Löschen, noch mehr Schreiben herausfinden, was wahrhaftig an dieser Geschichte ist, was passieren muss und was nicht.


Schönster Lohn: Nach Erscheinen meines Debütromans "Ava liebt noch" bin ich mehrfach gefragt worden, ob es Ava und Kieran wirklich gibt, ob ich vielleicht nur ihre Geschichte protokolliert habe. Manchmal ist es sohar einfach vorausgesetzt worden. "Wie schön, dass Sie die Geschichte der beiden aufschreiben durften." Tut mir leid, liebe LeserInnen. Die beiden gibt es nur in meinem Kopf. Glaubt mir, ich wünschte auch, es wäre anders.


"Fiktion muss bei den Fakten bleiben"


Niemand hat es treffender formuliert als "New York Times"-Edelfeder John McPhee, der in Draft No. 4 schreibt: "Fiktion ist in meinen Augen viel schwieriger zu schreiben als Fakten, denn wer Fiktion schreibt, bewegt sich durch Versuch und Fehler vorwärts, während der Faktenschreiber mit gesammeltem Material arbeitet."


Obwohl... das stimmt nicht. Virginia Woolf hat es mindestens genauso gut gesagt in A Room of One's Own: "Fiktion muss bei den Fakten bleiben und je wahrhaftiger die Fakten, desto besser die Fiktion - so sagt man es uns."


Tolkiens langes Feilen am Herrn der Ringe


So wird nachvollziehbar, warum erfolgreiche Autoren wie Kerstin Gier manchmal jahrelang über einer Geschichte brüten, bevor sie reif genug ist, um zu Papier gebracht zu werden. J.R.R. Tolkien soll 14 Jahre an der Herr der Ringe-Welt gefeilt haben.


Für eine Tageszeitungs-Frau wie mich, die häufig morgens anfängt zu recherchieren, damit sie bis abends die Zeitung vollschreiben kann, ist diese Art von Ausdauer eine ziemliche Herausforderung. Aber gleichzeitig liegt darin auch der ganz besondere Reiz am literarischen Schreiben. Ich darf eine Frage über 300 Seiten verhandeln und erfahre selbst erst am Ende, welche Antwort ich mir selbst gegeben habe.


Hier gibt's mehr Input zum kreativen Schreiben:


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© by Vera Zischke

Porträts: Anna Schwartz

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