Dialoge mit Botschaft am Beispiel von Forrest Gump
Aktualisiert: 2. Feb. 2023
Gute Dialoge verraten uns entweder mehr über unsere Figuren, ihre beziehungen und geben der Geschichte Charakter. Und dann gibt es Dialoge, die sind eigentlich nichts anderes als ziemlich offensichtliche Botschaften an die Zuschauerinnen und Zuschauer. Betrachten wir mal die so genannte "Motal von der Geschichte" am Beispiel des Filmklassikers Forrest Gump.
(Foto: Wix)
Als ich diese Reihe über Dialoge gestartet habe, habe ich eine Liste mit Filmen angelegt, von denen ich mir sicher war, dass sie ganz wunderbare Dialogszenen liefern. Forrest Gump war einer davon. Tja, offenbar hat mir meine Erinnerung einen ganz schönen Streich gespielt. Denn die bewegendsten Worte, die eindrücklichsten Bilanzen zieht Forrest in seinen Erzähler-Monologen.
Aber eine zentrale Weisheit, die Punchline schlechthin fand ich dann doch in einem Dialog. Und da dämmerte mir: Dialoge sind nicht nur dazu da, Figuren zu charakterisieren, Beziehungen sichtbar zu machen, aufzulockern und aufs Tempo zu drücken. Sie können auch die Moral von der Geschicht beinhalten und in Wahrheit an den Zuschauer gerichtet sein.
Sehen wir uns diesen Dialog mal genauer an.
Was ist mit dir, Mama?
Ich werde sterben, Forrest. Komm her, setz dich zu mir, ja?
Warum wirst du sterben, Mama?
Meine Zeit ist gekommen. Du brauchst keine Angst zu haben, Schatz. Der Tod gehört nunmal zum Leben dazu. Er ist uns allen vorherbestimmt. Das ist unser Schicksal. Auch wenn ich es nicht wusste, meine Bestimmung war es deine Mama zu sein. Ich habe getan was ich konnte.
Du hast es gut gemacht, Mama
Ich glaube aber auch, wir haben Einfluss auf unser Schicksal. Du musst aus allem was Gott dir gegeben hat, das Beste machen.
Was ist mein Schicksal, Mama?
Das wirst du selbst herausfinden müssen. Das Leben ist wie ne Schachtel Pralinen, Forrest. Man weiß nie, was man kriegt. Du wirst mir fehlen, Forrest.
Na, ist euch etwas aufgefallen?
Ich konnte die Inquit-Formeln weglassen und ihr habt trotzdem sofort gewusst, wer hier spricht, oder? Wenn nicht: Es sind Forrest Gump und seine Mutter.
Und ist euch noch etwas aufgefallen? Eigentlich ist es kein Dialog. Forrests Fragen lockern lediglich den Monolog der Mutter auf. Die Botschaft kommt allein von ihr und sie richtet sich genauso an die Zuschauenden wie an Forrest. Forrests Mutter hätte auch den Kopf gen Kamera drehen und direkt zu uns sprechen können.
Würde man Forrests Einwürfe rausschmeißen und die unmittelbare Reaktion der Mutter auf ihn, bliebe folgende Kernbotschaft übrig:
Der Tod gehört zum Leben dazu. Er ist uns allen vorherbestimmt. Das ist unser Schicksal. Ich glaube, wir haben Einfluss auf unser Schicksal. Du musst aus allem was Gott dir gegeben hat, das Beste machen. Das Leben ist wie ne Schachtel Pralinen. Man weiß nie, was man kriegt.
Dies ist die zentrale Botschaft des gesamten Films: Nimm das Leben wie es kommt, stelle dich deinen Herausforderungen und hadere nicht.
Lernen wir etwas über Forrest aus dem Dialog? Kaum. Lernen wir etwas über seine Mutter? Wenig. Ihr Charakter ist während des gesamten Films fast scherenschnittartig angelegt. Ihre Sätze klingen oft wie Lebensweisheiten, die man auf ein Kalenderblatt drucken könnte.
Warum ist das so? Im Grunde spiegelt sich darin die besondere Figurenzusammenstellung der Geschichte wider. Die komplexen Figuren wie Jenny und Lieutenant Dan besetzen Nebenrollen. Denn die Hauptrolle spielt in Wahrheit kein Mensch, sondern ein halbes Jahrhundert bewegte amerikanische Geschichte, durch die wir uns mit Forrest treiben lassen wie eine Feder. Und Forrest Gump? Der erklärt uns all die verrückten Dinge, die in dieser Zeit geschehen sind, auf eine Art und Weise, die auch uns an das Gute glauben lassen.
Oder wie er sagt: „Ich weiß nicht, ob jeder von uns sein Schicksal hat oder nur zufällig dahin treibt wie ein Blatt im Wind. Ich denke, es stimmt vielleicht beides.“
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