Rezensionen: Das war mein Lesejahr 2021
Aktualisiert: 28. Nov. 2022
Jetzt rezensiert sie auch noch... Ja nun, ich lese halt ständig und leidenschaftlich und am liebsten auf Empfehlung. Deshalb gebe ich jetzt selbst welche. Und versuche ein paar Verständnisprobleme zu verarbeiten, über die ich einfach nicht hinwegkomme.
2021 war ein reiches, ein vollgepacktes, ein überschwängliches und an Entdeckungen reiches Jahr - zumindest literarisch. Und doch haben mich manche Bücher ratlos zurückgelassen. Zwei habe ich abgebrochen, eines auf unbestimmte Zeit unterbrochen, unzählige angelesen und dann aufs neue Jahr verschoben.
Ich habe Hörbücher entdeckt und bin mir noch nicht sicher, ob ich dabei bleibe. Zu sehr bestimmt die Stimme des Sprechers darüber, ob ich ein Buch mag. Gerade höre ich "Über Menschen" von Juli Zeh, gesprochen von Anna Schudt (klare Empfehlung, ich zumindest habe einen Heidenspaß). Auf Papier lese ich "Sag den Wölfen, ich bin zu Hause" von Carol Rifka Brunt. Und eigentlich ist der Lesestapel schon wieder viel zu hoch für ein ganzes Jahr.
Weil ich finde, dass nichts über eine gute Buchdiskussion geht (wo sind eigentlich die Buchclubs unserer Mütter hin?), gibt es jetzt auch ein paar von mir. Ein paar ungeklärte Fragen hätte ich allerdings auch noch. Vielleicht könnt ihr mir helfen. Hier kommen meine größten Literatur-Erkenntnisse 2021.
Der größte Liebeskummer mit Sally Rooney
„Normale Menschen“ & „Schöne Welt, wo bist du“: Kein Buch hat mich 2021 so umgehauen wie „Normal People“ von Sally Rooney. Ich habe es gelesen, dann die Verfilmung gesehen, es nochmal gelesen und dann die neueste Erscheinung der Autorin gehört und alles was mich an ihr gefesselt und begeistert hat, nervte plötzlich. Der Verzicht auf Introspektion, der minimalinvasive Erzählstil, das Dahinplätschern der Handlung.
Was ich zuvor kompromisslos und mutig fand, erschien mir in „Schöne Welt, wo bist du“ nachlässig und bequem. Habe ich so noch nie erlebt. Ich knabbere immer noch daran. Vielleicht hat mich „Normal People“ einfach zur richtigen Zeit in der richtigen Stimmung erwischt. Vielleicht ist diese neue Erzählweise, bei der alles wirkt wie eine grobe Skizze doch nicht mein Ding.
Bei „Normal People“ konnte ich eine Verbindung zu den Protagonisten aufbauen. Bei „Schöne Welt, wo bist du“ blieb alles kühl, distanziert und irrelevant. Die merkwürdig eingeschobenen Briefe zu allgemeinen weltpolitischen Themen lesen sich wie Versatzstücke aus dem Notizbuch der Autorin, die halt da waren und mal weg mussten. Ich habe mich ernsthaft gefragt, ob das ganze Werk damit auf Romanlänge gestreckt werden sollte.
Handlung in einem Satz:
Normal People: Die Geschichte eines Paares, das sich in der Schule kennenlernt, immer wieder verliert, nie voneinander lassen kann und immer wieder vor der Frage steht: Sind wir jetzt bereit, uns zueinander zu bekennen?
Schöne Welt, wo bist du: Drei langjährige Freunde haben Probleme mit der Liebe, weil sie Probleme mit sich selbst haben, und so richtig reden klappt auch nicht.
“Es lag kein Hass im Blick des Eisbären. Nora war nur Nahrung für ihn. Fleisch. Und das war eine demütige Art von Schrecken. Ihr Herz pochte wie ein anschwellendes Schlagzeug am Ende des Liedes. Und es wurde ihr erstaunlich klar, endlich, in diesem Moment: Sie wollte nicht sterben.”
- Matt Haig "Die Mitternachtsbibliothek" (frei aus dem Englischen übersetzt) -
Die größte Liebe mit Matt Haig
„Die Mitternachtsbibliothek“ & „Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben“: Meine literarische Entdeckung 2021. Die „Mitternachtsbibliothek“ ist eine geniale Idee, die für meinen Geschmack perfekt umgesetzt wurde. Das Buch ist mit seiner Erzählstruktur auf seine Art ebenfalls kompromisslos. Aber im Gegensatz zu Rooney entblößt Haig seine Figuren nicht gleichgültig, sondern begegnet ihnen mit Mitgefühl. Und weil man merkt, dass diese Liebe zum menschlichen Dasein hart errungen ist, ist sie umso berührender.
Matt Haig skizziert seine Figuren nicht nur und überlässt sie ihrer Trostlosigkeit, sondern er wagt es, seine Moral von der Geschichte dazu zu formulieren. Ein Bekenntnis, das ich bei vielen modernen Autoren vermisse. "Die Mitternachtsbibliothek" ist ein Buch mit Seele.
Mein zweites Buch von Matt Haig, „Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben“, ist kein Roman, sondern eine Beschreibung seiner Depression, die so voller Hoffnung steckt, dass ich nicht nur viel gelernt habe, sondern auch zutiefst berührt war. Ich möchte 2022 mehr Matt Haig in meinem Leben. Möglicherweise auch weil er für mich der lebende Beweis ist, wie viel Kraft im Schreiben steckt - für den Leser, aber auch für den Schreibenden.
Handlung in einem Satz:
Die Mitternachtsbibliothek: Eine Frau landet nach ihrem Tod in einer Bibliothek und taucht in Bücher zu allen möglichen Verläufen ein, die ihr Leben genommen hätte, wenn sie in Schlüsselmomenten anders entschieden hätte.
Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben: Matt Haig beschreibt auf zutiefst menschliche Weise seinen Weg durch und aus der Depression.
Das größte Rätsel mit Queenie
"Queenie" von Candice Carty-Williams hat mich vollkommen unberührt und ratlos zurückgelassen, und ich frage mich was ich nicht verstanden habe, weil so viele Menschen so viel Gutes in diesem Buch entdeckt haben. Endlich mal eine starke Frauenfigur, hieß es. Black Lives Matter, Feminismus und seelische Gesundheit zusammengefasst in einem zeitgemäßen Roman, lobte die Presse. Ich habe das alles nicht gefunden. Dass dieses Buch von so vielen als politisch bezeichnet wurde, kommt entweder aus dem literarischen Elfenbeinturm oder ich war dafür einfach nicht zeitgeistig genug. Ich habe mich in mehreren Anläufen hineingequält und irgendwann ganz aufgegeben. Aber vielleicht war ich einfach nicht empfänglich für den Subtext. Lasst mich wissen, wenn ihr ihn gefunden habt.
Handlung in einem Satz:
Queenie ist eine junge Frau mit karibischen Wurzeln in London, die nach einer Reihe schlechter Entscheidungen doch irgendwie ihren Frieden mit sich macht.
Die größte Überraschung mit Untenrum frei
Ich habe „Untenrum frei“ von Margarete Stokowski auf Audible gehört, weil ich zu wenig über Feminismus weiß, außer das was mein Bauchgefühl mir sagt. Also dachte ich mir: Mach das Private politisch. Intuition und unterdrückte Wut allein reichen nicht, um das Patriarchat zu sprengen. Ich habe dieses Buch sozusagen als Argumentationshilfe gehört und nicht damit gerechnet, dass es mich packt.
Es kam anders: Ich fand das Werk brillant, klug, umfassend und bereichernd. Allerdings erst ab dem zweiten Kapitel. Das mag an den anfangs klischeehaften Beispielen und den meiner Ansicht nach unnötigen autobiografischen Einschüben gelegen haben. Womöglich lag es jedoch zuallererst an der Stimme der Autorin, die das Vorwort und das erste Kapitel spricht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das Buch nicht zu Ende gehört hätte, wenn nicht ab Kapitel 2 Annika Meier als deutlich lebendigere Sprecherin übernommen hätte. Ich schreibe das nicht, um der Autorin einen einzuschenken, sondern weil es vielleicht nicht nur mir so geht, und ich zum Durchhalten animieren will.
„Untenrum frei“ ist eine vielschichtige, sprachlich gewandte, glühende aber nicht belehrende Argumentationsschrift darüber, warum wir hinter dem Thema Gleichberechtigung noch lange keinen Haken setzen können und was noch passieren muss.
Manche Kapitel habe ich mehrfach gehört, ganz sicher werde ich das Buch noch einmal in Gänze hören. Tatsächlich fand ich auch die Aspekte des Mutterseins gut berücksichtigt, was mir häufig bei Magazinartikeln zum Thema fehlt. Aber seien wir ehrlich: Zu dem Thema, wie uns Mutterschaft zurück in die 50er katapultiert, müsste man eine eigene Buchreihe schreiben.
Handlung in einem Satz:
Untenrum frei ist eine facettenreiche und unbelehrende Abhandlung darüber, warum Männer und Frauen noch nicht gleichberechtigt sind, auch wenn wir doch schon so viel erreicht haben.
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